Kommentar von EWS-Präsident Dr. Ingo Friedrich, 03.06.2025
Trumps letztliche Ukraine-Absage und Putins Aufrüsten: Europa muss Sicherheit völlig neu denken
Die Europäer müssen spätestens seit dem rigorosen Nein Trumps zu gemeinsamen Ukraine-Sanktionen und nach den beunruhigenden Rüstungsnachrichten aus Moskau ihre Verteidigung völlig neu organisieren. Wir müssen erkennen, dass Putin „Blut geleckt“ hat: er baut Russland gerade zu einer Art Kriegerstaat um, vergleichbar mit dem antiken Sparta oder dem heutigen Nordkorea. Er hat bemerkt, der einzige Sektor mit dem er auf der Weltbühne Bedeutung erlangen kann, ist der militärische, also baut er diesen Sektor immer mehr aus. Auf allen anderen, z. B. technischen oder wissenschaftlichen Gebieten hat Russland nichts „zu bieten“. Rohstoffe verkaufen, das geht auch noch, aber sonst ist geistig von Russland nichts zu erwarten. Putins Devise lautet: „Weltmacht werden durch Waffen und Soldaten“. Dieses (wunderbare) Gefühl Weltmacht zu sein, ist für Russland und seine Bewohner von geradezu identitätsstiftender Bedeutung.
Das heißt aber auch, dass Putin derzeit überhaupt keinen Grund sieht, die Kampfhandlungen in der Ukraine zu beenden, egal welcher Friedensvermittler auch immer ins Spiel kommt. Dies zu erkennen, ist ganz wichtig und muss dann noch mit der Tatsache verknüpft werden, dass Trump nicht mehr Gegner von Putin sein will. Wir Europäer sind also ganz allein auf uns selber angewiesen und stehen einer Art „Fürsten der Finsternis“ gegenüber, der beschlossen hat ohne Rücksicht auf Verluste wieder Weltmacht zu spielen. Ja es ist leider noch vertrackter, weil ja auch China nicht Gegner, sondern praktisch Verbündeter Putins ist.
Welche Strategie sollte Europa angesichts dieser schwierigen Situation anwenden?
Sie kann nur lauten: Aus der Not eine Tugend machen, d.h. wenn Putin nicht aufhören will dann hören wir eben auch nicht auf. Dann müssen wir die Ukraine mit allem verfügbaren Material versorgen und müssen schauen wer den längeren Atem hat. Dann werden weiterhin 800.000 russische Soldaten in der Ukraine „gebunden“ und Europa kann die dadurch „gewonnene Zeit“ nutzen, um in den nächsten Jahren militärisch so stark zu werden, dass ein weiterer russischer Angriff unmöglich wird. Dazu gehört insbesondere der Aufbau eines eigenen europäischen atomaren Abwehrschirms.
Historisch ist das natürlich ein furchtbarer Rückgriff auf Handlungsalternativen des 20. Jahrhunderts, aber wenn Russland auf dieses - als überholt gedachte - Modell zurückgreift, sind wir leider gezwungen auch auf diesem Feld zu agieren. Das wird teuer und verlangt einen Abschied von manchen lieb gewordenen Gewohnheiten.
Auf Dauer kann aber Russland auch nicht durchhalten, täglich 500 bis 1000 Menschen zu verlieren. Und: Immerhin stehen den 160 Mio. Russen 530 Mio. Europäer gegenüber. Die besonders Leidtragenden einer solchen Entwicklung sind natürlich die Ukrainer, die selber entscheiden müssen, wie lange sie diesen Abwehrkampf durchhalten können. Insgesamt steht den Europäern eine Bewährungsprobe sondergleichen bevor.
Hoffen wir, dass Europa diese „Probe“ besteht und gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervorgeht.
Dr. Ingo Friedrich